Konzert: Stille

Organized By Vokalensemble Josquin des Prés Nürnberg

Location: Herz Jesu

Katholischer Kirchenplatz 12,Erlangen (49.601440, 11.007780)

Details

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde des Vokalensembles Josquin des Prés! Ein ungewöhnlicher, möglicherweise gar provokanter Titel für ein Konzert? Wo doch Musik, Klang, Sprache gerade das Gegenteil von Stille ist? Aber wie nötig haben sie einander. Wie hilfreich, beredt, heilsam, andächtig, aber auch gefährlich, bedrohlich, resigniert kann Stille sein. Stumm werden vor Entsetzen, vor Erstaunen, vor Ergriffenheit. Wenn alles gesagt ist. Wenn Worte fehlen. Wenn Hören hilft. „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab“– dieses Zitat aus dem Buch der Weisheit (18, 14-15) wird liturgisch dem Evangelium am 2. Sonntag nach Weihnachten (Joh 1,14) zugeordnet: “Und das Wort ist Fleisch geworden“. Orlando di Lasso ( *1532) setzt diese Glaubensgewissheit in einer sechsstimmige Motette mit Doppelkanon um - in meisterlicher polyphoner Renaissancemanier. Am anderen Ende der biblischen Zeitachse erscheint das titelgebende „Es ward eine Stille in dem Himmel“. Christoph Demantius (*1567) bezieht sich in seiner ebenfalls sechsstimmigen deutschen Motette auf die Offenbarung des Johannes (Off 8,1 bzw. 12, 7-10): „Als das Lamm das siebte Siegel öffnete, trat im Himmel eine Stille ein, etwa eine halbe Stunde lang.“ Fern apokalyptischer Schrecken betont Demantius den Heilscharakter in festlich-feierlichem Duktus. Giaches de Wert (*1535) führt uns mit dem Markus-Evangelium auf den See Genezareth: „Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu der See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich, und es trat völlige Stille ein“(Mk 4,39). Nahezu lautmalerisch lässt der frankoflämische Komponist den See in Synkopen in Wallung geraten, den Wind in sich ablösenden, absteigenden Läufen wehen, bevor die große Stille in taktelangen Liegenoten einsetzt. Eine sublime Umsetzung romantischer, sehnsüchtiger Introspektion und eine betörende Ode an den „scheuen Gast“ gelingt Max Reger (*1873) in seiner Nr.1 aus Opus 39 für sechsstimmigen Chor a cappella „Schweigen“. Gustav Falkes Gedicht schillert in kompakten Klängen voller überraschender chromatischer Wendungen – von „rätseltiefem Grund“ bis zu „feinen Silberstrahlen verborgner Quellen“. Der Affekt in Wolfgang Rihms „mit geschlossenem Mund“ für acht Stimmen bleibt diffus, verhangen, irritierend, lässt Spielraum für eine wortlose Meditation zum Thema des Abends. Der Titel ist zugleich die Aufführungsanweisung (bocca chiusa). Den größtmöglichen Kontrast hierzu könnte in der zeitgenössischenVokalmusik Eric Whitacre (*1970) bilden. Sein „Sleep“, das den Moment kurz vor dem Einschlafen beleuchtet, ist ein durch Sekund- und Nonreibungen angereichertes, dicht gewobenes (Wohl-)Klanggeflecht mit einem thematisch passenden „al niente“-Schluss. Ein literarisches Schwergewicht hat sich Einojuhani Rautavaara 1993 im Auftrag von Europa Cantat herausgesucht: Die erste Elegie von Rainer Maria Rilke, ein Werk, an dem sich Generationen von Germanisten die Zähne ausgebissen haben. Der Aufschrei im Tenor „Wer, wenn ich schrie, wer hörte mich denn“ spreizt sich zweimal über eine Dezim, stürzt dann im Bass über fast zwei Oktaven ab: bleibt er ungehört? Die ohrenbetäubende Stille, die Stille der Entsetzens, der Erkenntnis: „ein jeder Engel ist schrecklich“. Der im Schlussteil besungene, göttliche Knabe Linos war als Sohn von Apollon (Gott u.a. der Musik und des Gesanges) und Kalliope (der Muse der Elegie, der Dichtung und des Epos) ein Halbbruder von Orpheus, ihm in der Kunst des Gesanges und des Leierspiels ebenbürtig und dem Vater wohl überlegen – was widersprüchlichen Quellen zufolge zu einer zornigen, göttlichen Strafaktion und dem gewaltsamen Ableben des Begabten führte. Im Moment seines Todes hielt die Natur, alles Leben auf der Erde den Atem an vor Schrecken und Trauer – für einen Augenblick ward eine große Stille, aus deren dürren Erstarrung „das Leere in jene Schwingung geriet, die uns ...tröstet und hilft“, die Musik. Wir laden Sie herzlich ein zu unseren nicht nur stillen Betrachtungen über die Stille in den Konzerten am Samstag, 9.April um 19.30 in der Herz-Jesu-Kirche Erlangen und am Sonntag, 10.April um 16.00 in Sankt Klara Nürnberg.